Ohne freie Presse siegt die Propaganda

Heute ist der Internationale Tag der Pressefreiheit. Welche Bedeutung eine freie Presse für demokratische und pluralistische Gesellschaften hat, zeigt nicht zuletzt der 24. Februar 2022, der Beginn des völkerrechtswidrigen Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine.

Russland hat sich unter dem Regime Wladimir Putins zu einer blutigen und repressiven Militärdiktatur entwickelt, die nicht nur friedliche Nachbarn in Europa überfällt, Zivilisten der Ukraine tötet, vergewaltigt und verschleppt, den Kontinent mit der Drohung eines Atomkrieges terrorisiert, sondern auch im eigenen Land die Meinungsfreiheit unterdrückt. Eine freie Berichterstattung in Putins Russland ist unmöglich geworden, Wer seine eigene Meinung äußern will, die auch nur den Anschein erweckt, im Widerspruch zur aktuellen Sprachregelung des Regimes zu stehen, macht sich strafbar und muss mit Freiheitsstrafen von bis zu 15 Jahren rechnen.

Journalisten sind die Augen und Ohren in freien Gesellschaften. Was sie sehen und hören tragen sie in die öffentliche Debatte, die Fundament und Treibstoff der Demokratie ist. Was nicht gesehen und gehört, und was nicht gesagt und geschrieben werden darf, findet nicht statt und fällt aus der Wirklichkeit. Deshalb setzen Diktaturen und Autokratien alles daran, freien und unbeeinflussten Journalismus, der sich der Macht nicht beugen und vor der Zensur nicht verbiegen will, zum Schweigen zu bringen und sprichwörtlich mundtot zu machen. Denn ein Mund, der nicht mehr sprechen kann, ist tot. Mit der Pressefreiheit aber, die nicht bewahrt und geschützt wird, stirbt der Diskurs in der Gesellschaft und damit die Demokratie.

Propaganda: „Koch des Krieges“

Nicht zuletzt deshalb liegt Russland heute unter einem Mehltau der Unfreiheit, die alles erstickt, was noch frei atmen will. Das Regime hat deren Stimmen längst zum Schweigen gebracht, die etwas zu sagen hatten: Anna Politkowskaja, die am 7. Oktober 2006 ermordet wurde, steht stellvertretend für 22 KollegInnen, die nach Angaben von „Reporter ohne Grenzen“ in der Zeit zwischen 2000 bis 2009 in Russland getötet wurden; viele weitere folgten bis zum heutigen Tag. Alleine die Redaktion der Nowaja Gazeta, die von Dimitri Muratow 1993 in Moskau gegründet wurde und die am 28. März dieses Jahres aufgrund der Repression ihre Berichterstattung eingestellt hat, verlor fünf JournalistInnen, darunter auch Anna Politkowskaja. Andere wurden bedroht und verletzt. Die meisten, die noch eine Stimme haben und nicht schweigen wollen, haben Russland freiwillig verlassen oder sind verjagt worden. Im größten Land der Erde gibt es keine freien Medien mehr. Es gibt nur noch willfährige und speichelleckerische Propaganda im Staatsfernsehen, die Muratow als „Koch des Krieges“ bezeichnet.

Russland ist zwar nicht überall, aber die russischen Verhältnisse machen Schule oder haben schon längst Schule gemacht. Besonders beunruhigend dabei sind Verletzungen der Pressefreiheit in demokratisch verfassten Staaten und in Ländern der Europäischen Union. Nach der aktuellen Rangliste von „Reporter ohne Grenzen“ gehören mit Bulgarien, Italien, Malta, Polen, Rumänien, Slowenien, Ungarn und Zypern acht EU-Mitgliedsländer zur Gruppe von Staaten, in denen es bei der Pressefreiheit „erkennbare Probleme“ gibt. Ganz oben in der Liste, und mit „gut“ bewertet liegen lediglich Norwegen, Dänemark, Schweden, Estland, Finnland, Irland, Portugal und Costa Rica.

Risiken für die Pressefreiheit auch in Deutschland

Deutschland, das bereits im Ranking 2021 aus der Spitzengruppe geflogen und 2022 von Platz 13 auf Platz 16 gerutscht ist, findet sich erneut nur in der Kategorie „zufriedenstellend“ wieder. Auch hierzulande ist beileibe nicht alles in Ordnung. Dazu tragen Konzentrationsprozesse in der Presselandschaft und die damit einhergehende schwindende Medienvielfalt sowie gesetzgeberische und exekutive Mängel beim Schutz von Journalistinnen und ihren Quellen bei. Bedenklich stimmen muss vor allem aber die steigende Zahl von gewalttätigen Angriffen auf Pressevertreter, die seit Beginn ihrer Dokumentation 2013 mit 80 bestätigten Fällen noch nie so hoch gelegen ist. 52 dieser gewalttätigen Angriffe, so berichtet die „Tagesschau“ heute, „ereigneten sich bei Protesten des ‚Querdenken‘-Spektrums“, also in einer Szene, die mit Neonazis, weiteren rechten Gruppen, Mitläufern der AfD und Verschwörungstheoretikern durchsetzt ist.

Wen das verwundert, sollte Dokumentationen über die Kommunikation der alt- und neurechten Szene in Deutschland lesen. Hier finden sich die gängigen und tausendfach erprobten rhetorischen Figuren aus der Schule der Propaganda: die Täter-Opfer-Umkehr, die dreiste Stilisierung der Lüge zur „Wahrheit“ durch permanente Wiederholung sowie die Konstruktion von Verschwörungsmythen aller Art, die „Wissende“ und „Auserwählte“ zu einer neuen Elite erheben. Letztlich können die Blaupausen in zig-fachen Varianten in allen Social-Media-Kanälen – und mitunter sogar auf Businessportalen – beobachtet und nachverfolgt werden. Diese Kommunikation findet Nachahmer und Mitläufer, von denen sich manche radikalisieren und ihre zunächst „nur“ verbal artikulierten Gewalt- und Umsturzfantasien auf der Straße ausleben. Die Verbrechen der NSU-Killer, die Anschläge in Hanau und Halle sowie die Ermordung Walter Lübckes zeigen, wie wichtig es ist, diese Entwicklungen zu beobachten und ernst zu nehmen. Dazu gehören auch die europaweit und zum Teil global vernetzten Propagandasysteme des Putin-Regimes, die aus Sankt Petersburg das Internet mit Fakes und Lügen flutet und kritische Infrastrukturen in der Europäischen Union attackieren.

Wir müssen unsere Werte verteidigen

Wir müssen wissen, wofür wir stehen, und wir müssen wissen, für welche Werte wir als Gesellschaft und ganz persönlich eintreten. Meinungs- und Pressefreiheit gehören zu den grundlegenden Werten freier Gesellschaften, da es ohne sie weder individuelle Freiheit noch Menschenwürde geben kann. Deshalb müssen wir dafür streiten und uns da einmischen, wo diese Freiheiten bedroht werden. Wir dürfen Lügen, Halbwahrheiten und bösartige Verdrehungen von Fakten nicht hinnehmen und müssen mit Gegenrede und Argumenten reagieren: sowohl in persönlichen Gesprächen als auch in Sozialen Medien. Hier gilt der Satz: „Wer schweigt, macht sich mitschuldig“. Das mag unbequem und lästig sein. Aber es ist heute notwendiger denn je. Vor allem aber dürfen wir nicht naiv sein und glauben, das auf „Regen“ schon bald wieder „Sonnenschein“ folgt. Die aktuelle Lage belehrt uns eines besseren.

Zurück